Forschungskonzept „Experimentelles Mittelalter“

(siehe auch Websites des Mittelalterzentrums und von Castrum)

2001 wurde am Museum im Zeughaus das „Zentrum für Experimentelles Mittelalter“ gegründet. Neben seiner Funktion als Bildungszentrum hat es sich zum Ziel gesetzt, mit experimentellen Forschungen Kultur- und Handwerkstechniken des Mittelalters zu rekonstruieren und wieder zu beleben.

 

 

Das Konzept der „Vergleichenden Regionalforschung“ an Museen

 

Seit 1999 besteht eine enge und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen dem Museums im Zeughaus, Vechta, unter Leitung von Axel Fahl-Dreger und dem Kreismuseum Syke, dem Museum des Landkreises Diepholz, und dessen Museumsleiter Dr. Ralf Vogeding unter dem Aspekt „Vergleichende Regionalforschung“. Dieses Konzept hat die politische Diskussion um die Bildung von kulturellen und wirtschaftlichen Regionen und ihrer Identitäten als Hintergrund. Die Schaffung von kleineren Einheiten wie den Landschaftsverbänden bis hin zu großen europäischen Regionen wirft immer die Frage nach der Definition des Begriffs „Region“ auf.

Forschungsthesen

  1. Werden zwei benachbarte Räume konfessionell und kulturgeschichtlich unterschiedlich geprägt, entwickelt sich die emotionale Wahrnehmung von gesellschaftlichen Werten unterschiedlich, ohne dass dies in den Realien des alltäglichen Lebens der Räume sichtbar wird.
  2. Neue Entwicklungen von Gestaltung und Ausübung alltäglicher Freizeit entstehen unabhängig von der Konfession aus der Alltagskultur und nicht aus der Hochkultur, häufig aus einem Widerstand gegenüber der politischen Obrigkeit.

 

 

Der Begriff „Region“

Im Gegensatz zu Städten, Ländern, Nationalstaaten usw., die allgemein mit bestimmten festgelegten Grenzen assoziiert werden, ist eine Region frei definierbar. Dabei kann sie sowohl innerhalb einer gewohnten Grenzziehung liegen (sektoral - differenzierend), als auch gewohnte Grenzen überschreiten, bzw. auflösen (transnational - integrierend). Tatsächlich zeigt die historische Geographie aber, dass Städte, Länder, Nationen genauso frei definierte Gebiete sind, und, sozialgeographisch betrachtet, Nationen genauso unscharf vom Staaten-Konzept überlagert sind. Funktional lässt sich eine regionale Eingrenzung immer mit einer Intention verknüpfen, die einen bestimmten Aspekt in den Vordergrund stellt; naturräumlich-geographische, kulturhistorische, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte werden dabei unterschiedlich gewichtet und kombiniert. Das Konzept der „Vergleichenden Regionalforschung“ richtet primär sein Augenmerk auf kulturgeographische Fragen, die speziell von der Mentalitätsgeschichte und der vom heutigen Verständnis aus als Freizeitaktivitäten definierten Tätigkeiten her untersucht werden. Dabei werden die sozioökonomische Gegebenheiten berücksichtigt, auf deren Grundlage sich kulturellen Aktivitäten entwickelt haben.

 

 

Der Forschungsraum

Das Konzept ist auf die historischen Räume der Landkreise Diepholz und Vechta eingegrenzt. 

Mit der Zugehörigkeit des Museums im Zeughaus, Vechta, zur Oldenburgischen Landschaft, zur Bezirksregierung Oldenburg, zum ehemaligen Niederstift des Bistums Münster mit hauptsächlich katholischer Konfession geht eine weitgehend andere historische Prägung einher als für den Einzugsbereich des Kreismuseums Syke, das zu dem Landschaftsverband Weser-Hunte, der Bezirksregierung Hannover gehört und konfessionell eher evangelisch gebunden ist. Trotz vielfach ähnlicher geographischer Strukturen als ländlicher Raum haben sich in der Vergangenheit große Bewusstseinsgrenzen aufgebaut, die sich in einem fehlenden demographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch niedergeschlagen haben. Eine „Vergleichende Historische Regionalforschung“ hat in einem solchem Untersuchungsgebiet eine selten gegebene Chance, historische Traditionen herauszuarbeiten, um einerseits die regionale Identität („genius loci“) klarer zu definieren und andererseits aufklärerisch und Grenzen abbauend zu wirken. So kann letztlich eine gemeinsame Zukunft gestaltet werden, die auf Toleranz, Offenheit und Verständnis gegenüber des Ungewohnten, Unbekannten und Fremden beruht.
 
 

Die historische Entwicklung der Regionen Der Landkreis Diepholz

Das heutige Gebiet des Landkreises Diepholz setzt sich hauptsächlich aus den mittelalterlichen Hoyaer und Diepholzer Grafschaften zusammen. Mit der Auflösung bzw. dem Aussterben der beiden Grafenhäuser Ende des 16.Jahrhunderts ging das Gebiet weitestgehend an die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, danach an das Kurfürstentum Hannover, das Königreich Westfalen, das Königreich Hannover und letztlich an das Königreich Preußen. Aufgrund einer neuen preußischen Kreisordnung entstanden im Jahre 1884 die Landkreise Diepholz, Syke, Hoya und Sulingen. Die Verwaltungen erhielten die Bezeichnung Landratsamt. Sie blieben 48 Jahre bestehen. Im Jahre 1932 wurden im Zuge einer Gebietsreform die Kreise Hoya und Syke zum Landkreis Grafschaft Hoya mit Sitz in Syke gebildet. Die Landkreise Diepholz und Sulingen verschmolzen zum Landkreis Grafschaft Diepholz mit Sitz in Diepholz. Nach der erzwungenen Auflösung des preußischen Staates nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die beiden Landkreise 1946 zum neu gebildeten Bundesland Niedersachsen. Durch die Einführung des dualen angelsächsischen Systems ging der Titel „Landrat“ an den Vorsitzenden des Kreistages über, während der Erste Verwaltungsbeamte nunmehr Oberkreisdirektor hieß. Im Jahre 1977 wurde aufgrund der niedersächsischen Gebietsreform der jetzige Landkreis Diepholz gebildet. Er besteht aus dem ehemaligen Landkreis Grafschaft Diepholz und wesentliche Teile des ehemaligen Landkreis Grafschaft Hoya. Hierbei fand auch ein Austausch mit Oldenburg statt, wobei Harpstedt abgetreten, Stuhr dagegen an Diepholz abgegeben wurde. Der Sitz der Kreisverwaltung ist Diepholz mit einer Außenstelle in Syke. Im Rahmen einer Neustrukturierung löste der Landkreis Diepholz im Jahre 2004 seine Außenstelle auf und ersetzte sie durch einen Bürgerservice. Der Bürgerservice in Syke und die in den Rathäusern der Städte Sulingen und Twistringen, der Samtgemeinden Bruchhausen-Vilsen, Kirchdorf und Barnstorf neu eingerichteten Bürgerbüros nehmen publikumsintensive Aufgaben des Landkreises Diepholz wahr.

 

 

Der Landkreis Vechta

Im Mittelalter bestand dieses Gebiet aus den Grafschaften Ravensberg-Vechta und Tecklenburg. Diese wurde nach Ankauf (Vechta 1252) und Eroberung (Tecklenburg 1400) zum so genannten Niederstift des Bistums Münster zusammengefasst. Entscheidend für die kulturelle Entwicklung und damit auch der Mentalität der Bewohner sollte die Durchsetzung der Gegenreformation unter dem münsterschen Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen ab 1650 werden. Seitdem war dieses Gebiet weitestgehend von protestantischen Herrschaftsräumen umgeben. 1803 wird das Stift Münster säkularisiert. Die Ämter Cloppenburg und Vechta im ehemaligen Königreich Westfalen fallen an den Herzog von Oldenburg und verbleiben verwaltungsmäßig beim Land bzw. der nach 1945 gegründeten Bezirksregierung Oldenburg bis zur Abschaffung der letzteren 2005. Die Zeit zwischen 1840 und 1860 wird geprägt durch eine große Landflucht aufgrund großer Armut in den bäuerlichen Schichten der Tagelöhner und Heuerleute (von 65.000 Einwohnern im Oldenburger Münsterland siedeln sich ca. 10.000 Auswanderer in Amerika an). 1945 tritt der Kreistag in Vechta tritt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Er ist damit der erste Landkreis, der nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur "zur demokratischen Selbstverwaltung schreitet".

 

 

Die Projekte

Mit den ersten gemeinsamen Projekten, den Ausstellungen „Kino ist das Größte“ / 1999 und „Pack die Badehose ein“ / Juli 2001 und „Musik und Tanz“ / 2004 mit entsprechenden Ausstellungskatalogen ist für 2009 eine Ausstellung zum Thema „Sport im ländlichen Raum“ geplant. Das Forschungskonzept sieht vor, mit Hilfe einer Reihe von Detailuntersuchungen eine breit angelegte Daten- und Materialbank anzulegen, auf deren Basis allgemeine Aussagen zur Regionalgeschichte unterschiedlich konfessionell und kulturgeschichtlich geprägter Räume entwickelt werden können. Die oben genannten Projekte haben schon erste Tendenzen erkennen lassen:

  1. Die beiden Vergleichsräume zeigen bis zur Reformation keine wesentlichen kulturgeschichtlichen Entwicklungen auf. Vielfach nehmen dieselben Personen bzw. Familien auf die Geschicke der Regionen Einfluss.
  2. Schon während der Reformation geben die unterschiedlichen protestantischen Glaubensrichtungen den Menschen in den Untersuchungsräume eine verschiedene Neuorientierung: Der Diepholz’sche Raum wird über die evangelisch-lutherische Ausrichtung geprägt, der Vechtische eher über die holländisch-calvinistische bzw. über die Münsteraner Wiedertäuferbewegung. In dieser Zeit bildet sich die so genannte „protestantische Orthodoxie“ heraus: -der Lehre vom Menschen als ewigen Sünder, der zwar von den Dogmen des Katholizismus befreit ist, seine Freiheit aber mit strenger Selbstdisziplin und harter Arbeit bezahlen muss. Jedes Verweilen muss in diesem Verständnis als Vergehen gelten: Immer weiter gehen, immer vorwärts im irdischen Jammertal. In Vechta führt dieses Bewusstsein z.B. zu einem Badeverbot für nackte Kinder, was für Katholiken in dieser Zeit überhaupt kein Problem dargestellt hätte.
  3. Mit der Durchsetzung der Gegenreformation im Niederstift Münster (Vechta, Cloppenburg, Emsland) durch den Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen trennen sich die Wege kulturell, rechtlich und politisch, wobei die finanziellen und wirtschaftlichen Bedingungen vergleichbar (schlecht) bleiben.
  4. Mit der französischen Besetzung unter Napoleon und den folgenden Befreiungskriegen sowie dem Wiener Kongress gleichen sich die Verhältnisse besonders rechtlich und politisch bis in die Gestaltung des Alltagslebens zeitweise an, um sich dann unter preußischen bzw. oldenburgischen Einflüssen wieder zu entfernen. Dazu trägt besonders die im 19. Jahrhundert Zeit sehr restriktiv-konservative, obrigkeitsausgerichtete katholische Theologie im Niederstift Münster bei, da diesem die Herzöge von Oldenburg die konfessionelle Eigenständigkeit beließen. Interessant ist, dass die Südoldenburger sich aber nicht in allen Lebensbereichen dem Druck beugten. So konnten die Dammer z.B. durch einen klugen Schachzug 1892/93 ihren Karneval beibehalten, als die katholische Kirche zur Fastnachtszeit das „Vierzigstündige Betgebot“ an den drei Tagen vor Aschermittwoch einführten. Sie verlegten kurzerhand ihren Karneval eine Woche vor. Andernorts war es schon durch den Karnevalsverbot unter Napoleon dieser Brauch weitestgehend zum Erliegen gekommen und konnte im Diepholzer Raum erst wieder Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen der vielfältigen Vereinsgründungen, besonders im sportlichen Bereich, wiederbelebt werden.
  5. In der Zeit des Kaiserreiches kam es unter nationalen Gesichtspunkten wieder zu einer Angleichung der Räume. Überall entwickelten sich ähnliche kulturelle und sportliche Aktivitäten und Institutionen, wobei die katholische Kirche wesentlichen Einfluss auf die konkrete innere Ausgestaltung nahm. Wurden z.B. fast gleichzeitig in Vechta (1899) und Diepholz (1901) die ersten Kinovorführungen gezeigt, so waren es doch nicht die gleichen Filme. Diese religiös bedingten Einschränkungen setzen sich noch bis in die 50er / 60er Jahre des 20. Jahrhunderts fort. So veranlasste z.B. die Kirche den Landkreis Vechta 1951, ein Spielverbot des Films „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef auszusprechen. Dies hinderte aber die Bewohner des Landkreises nicht daran, den Film in den Kinos des Landkreises Diepholz anzusehen. Diese mussten daraufhin weitere Sondervorführungen ansetzen.
  6. Die Durchdringung der beiden Räume mit nationalsozialistischem Gedankengut gestaltete sich sehr unterschiedlich. Die politische Kraft des Zentrums und das ausschließlich auf Gott beschränkte Gehorsamsgebot der Katholischen Kirche gab der NSDAP hier wesentlich weniger Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten des alltäglichen Lebens als im protestantisch geprägten Diepholzer Raum. Die Begründung des ersten deutschen demokratisch orientierten Landkreises in Vechta im Jahr 1945 ist ein Ausdruck hiervon.


Die oben stehenden Ausführungen sollen in den nächsten Jahren durch weitere gemeinsame Projekte der beiden Museen differenziert und verifiziert werden. Es wäre schön, wenn diese Arbeit zu einem weiteren positiven Verständnis der Menschen in den beiden Landkreisen Diepholz und Vechta untereinander führen könnte und die immer noch bestehenden Vorurteile und mentalen Grenzen abgebaut werden könnten.

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